ESMA-Bericht über das DLT-Pilotregime

Am 27. September 2022 veröffentlichte die ESMA ihren Bericht über das DLT-Pilotregime. Der Bericht enthält die Ergebnisse der ESMA aus ihrer Aufforderung zur Einreichung von Stellungnahmen zu der Frage, ob die im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 (“MiFIR”) entwickelten technischen Regulierungsstandards (“RTS”) in Bezug auf bestimmte Vor- und Nachhandels- sowie Datenmeldeanforderungen für Wertpapiere angepasst werden müssen, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie (“DLT”) ausgegeben, gehandelt und aufgezeichnet werden.

Zusammenfassend lässt sich dem Bericht entnehmen:

  • Die ESMA ist nicht der Ansicht, dass die RTS zur Datentransparenz und den Anforderungen an die Datenmeldung für die Zwecke der DLT-Pilotregime geändert werden müssen;
  • Wie von den Marktteilnehmern erwünscht, wird die ESMA Leitlinien zur Anwendung bestimmter technischer Elemente der RTS zu Transparenz- und Datenmeldeanforderungen herausgeben, einschließlich der Klärung bestimmter Definitionen, der Spezifizierung, welche Informationen in bestimmten Meldefeldern enthalten sein müssen, und der Frage, wie die Identifizierungs-, Melde- und Uhrsynchronisationsanforderungen in Bezug auf Privatpersonen gelten würden;
  • Die ESMA hat mehrere Empfehlungen für die zuständigen nationalen Behörden in Bezug auf Ausgleichsmaßnahmen im Zusammenhang mit Aufsichtsdaten, die von DLT-Marktinfrastrukturen erhoben werden, festgelegt.

Einführung zum DLT-Pilotregime

Im September 2020 kündigte die EU-Kommission ihre Strategie für das digitale Finanzwesen an, in der dargelegt wird, wie die digitale Transformation des Finanzwesens in der EU vorangetrieben werden könnte. Die Strategie konzentriert sich auf vier Hauptbereiche: i) die Beseitigung der Fragmentierung des digitalen Binnenmarkts, ii) die Anpassung des EU-Rechtsrahmens zur Erleichterung der digitalen Innovation, iii) die Förderung der datengesteuerten Finanz und iv) die Bewältigung der Herausforderungen und Risiken der digitalen Transformation.

Ein Bereich, in dem Rechtsunsicherheit herrscht, ist die Frage, wie die bestehenden EU-Finanzvorschriften auf Kryptowerte anzuwenden sind. Kryptowerte sind digitale Darstellungen von Werten oder Rechten, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden können. Während einige Arten von Kryptowerten unter die Definition von Finanzinstrumenten in der Richtlinie 2014/65/EU fallen (z. B. übertragbare Wertpapiere wie Aktien und Anleihen), gilt dies für andere nicht. Ist dies der Fall, können bestimmte EU-Finanzdienstleistungsvorschriften, einschließlich der Richtlinie 2014/65/EU (“MiFID II”), MiFIR, der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung, “MAR”), der Verordnung (EU) 2017/1129 (Prospektverordnung), der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 (Zentralverwahrerverordnung, “CSDR”) und der Richtlinie 98/26/EG (FinalitätsRL, “SFD”), auf Emittenten solcher Vermögenswerte und auf Unternehmen, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit solchen Vermögenswerten erbringen, Anwendung finden.

Bestimmte in diesen Normen vorgesehene Vorschriften könnten die Verwendung von DLT beim Handel und der Abwicklung von Transaktionen mit Kryptowerten einschränken oder verbieten. Einerseits möchten die zuständigen Behörden die Entwicklung der Nutzung von DLT vorantreiben, andererseits sind sie mit den Risiken, die eine neue Technologie mit sich bringen kann, nicht vertraut und sind vorsichtig, wenn es darum geht, bestehende Schutzmaßnahmen zu lockern. Um diese Probleme anzugehen und abzuwägen, wurde die DLT-Pilotregime Verordnung erlassen. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Punkte dieser neuen Verordnung kurz zusammengefasst.

Die DLT-Pilotregime Verordnung    

DLT Marktinfrastruktur

Die Verordnung (EU) 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen (die „DLT Pilot Regime Verordnung“) ist am 22. Juni 2022 in Kraft getreten und gilt ab 23. März 2023. Sie enthält eine Definition eines DLT-Finanzinstruments (ein Finanzinstrument iSd MiFID II, das mittels Distributed-Ledger-Technologie emittiert, verbucht, übertragen und gespeichert wird) und führt eine neue Form der Marktinfrastruktur ein, die DLT-Marktinfrastruktur. Folgende Systeme können eine DLT-Marktinfrastruktur sein:

  • DLT multilaterals DLT-Handelssystem (“DLT-MF”): ein multilaterales Handelssystem („MTF“), das nur DLT-Finanzinstrumente zum Handel zulässt;
  • DLT-Abwicklunssystem (“DLT-SS”): ein Abwicklungssystem, mit dem Transaktionen mit DLT-Finanzinstrumenten gegen Zahlung oder Lieferung abgewickelt werden und das die erstmalige Erfassung von DLT-Finanzinstrumenten oder die Erbringung von Verwahrungsdienstleistungen in Bezug auf DLT-Finanzinstrumente ermöglicht;
  • DLT Handels- und Abwicklungssystem (“DLT-TSS”): ein DLT-MTF oder ein DLT-SS, das die von einem DLT-MTF und einem DLT-SS erbrachten Dienstleistungen kombiniert.

Es wurden bestimmte Beschränkungen für Finanzinstrumente festgelegt, die auf einer DLT-Marktinfrastruktur gehandelt oder erfasst werden können, darunter:

  • für Aktien: die Marktkapitalisierung des Emittenten muss weniger als 500 Mio. EUR betragen;
  • für bestimmte Anleihen und andere Formen von verbrieften Schuldtiteln: das Emissionsvolumen muss weniger als 1 Mrd. EUR betragen;
  • für bestimmte Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen: Der Marktwert der verwalteten Anlagen muss weniger als 500 Mio. EUR betragen.

Darüber hinaus darf der Gesamtmarktwert aller zum Handel zugelassenen oder auf einer DLT-Infrastruktur erfassten DLT-Finanzinstrumente zum Zeitpunkt der Zulassung zum Handel/der erstmaligen Erfassung 6 Mrd. EUR nicht überschreiten. Sollte der Gesamtmarktwert aller DLT-Finanzinstrumente, die auf einer DLT-Marktinfrastruktur gehandelt/erfasst werden, 9 Mrd. EUR übersteigen, muss der Betreiber der DLT-Marktinfrastruktur seine Übergangsstrategie, die die Umwandlung in eine klassische Marktinfrastruktur beinhalten kann, einleiten. Die zuständigen nationalen Behörden können niedrigere Schwellenwerte festlegen.

Besondere regulatorische Ausnahmen

Im Allgemeinen gelten der EU-Rechtsrahmen für Finanzinstrumente und traditionelle Marktinfrastrukturen auch für DLT-Finanzinstrumente und DLT-Marktinfrastrukturen. Die Betreiber können jedoch bestimmte Ausnahmen beantragen, wenn diese in einem angemessenen Verhältnis zum Einsatz der DLT stehen und durch diesen gerechtfertigt sind. Beispiele hierfür sind:

  • DLT-MTFs: der Betreiber eines DLT-MTF kann bestimmte natürliche und juristische Personen (Kleinanleger) als Mitglieder oder Teilnehmer zum Handel auf eigene Rechnung zulassen. Weiters können Betreiber, Mitglieder und Teilnehmer von bestimmten MiFIR-Meldepflichten befreit werden;
  • DLT-SSs: Der Zentralverwahrer kann bestimmte natürliche und juristische Personen als Teilnehmer zulassen, Wertpapiere in einer anderen Form als im Effektengiro verbuchen und Transaktionen in E-Geld-Token abwickeln (Lieferung gegen Zahlung weiterhin erforderlich).    

Bei der Gewährung einer Ausnahme kann die zuständige Behörde bestimmte Bedingungen auferlegen und Ausgleichsmaßnahmen verlangen, um die Ziele der Vorschriften, für die eine Ausnahme beantragt wurde, zu erreichen oder um den Anlegerschutz, die Marktintegrität oder die Finanzstabilität zu gewährleisten.

Besondere Genehmigungen

Die folgenden Personen können eine besondere Genehmigung für den Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur beantragen/erhalten:

  • DLT-MF: eine juristische Person, die gemäß MiFID II als Wertpapierfirma oder für den Betrieb eines geregelten Marktes zugelassen ist;
  • DLT-SS: eine juristische Person, die gemäß der CSDR als Zentralverwahrer zugelassen ist;
  • DLT-TSS: eine juristische Person, die gemäß MiFID II als Wertpapierfirma oder für den Betrieb eines geregelten Marktes oder die gemäß der CSDR als Zentralverwahrer zugelassen ist. Eine Wertpapierfirma oder ein Marktbetreiber, der ein DLT-TSS betreibt, unterliegt ebenfalls bestimmten Bestimmungen der CSDR und ein Zentralverwahrer unterliegt bestimmten Bestimmungen der MiFID II.

Anträge an die zuständige nationale Behörde müssen u.a. Informationen über den Geschäftsplan des Unternehmens, die Funktionsweise des verwendeten DLT, eine Beschreibung der gesamten IT- und Cybervorkehrungen des Antragstellers, Maßnahmen zum Anlegerschutz, eine Übergangsstrategie (z. B. wie ein Betreiber aus dem Geschäft aussteigen oder zu einer klassischen Marktinfrastruktur übergehen würde) und Begründungen für eine beantragte Ausnahme enthalten. Derzeit arbeitet die ESMA Leitlinien für Antragsformulare aus; die Konsultationsfrist endete am 9. September 2022.

In den besonderen Genehmigungen sind die gewährten Ausnahmen und die damit verbundenen Ausgleichsmaßnahmen anzugeben. Sie sind in der gesamten EU für einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren ab dem Ausstellungsdatum gültig, können jedoch in bestimmten Umständen entzogen werden (z. B. Mängel in der Funktionsweise des DLT, wesentliche Änderung der verwendeten Technologie, Nichteinhaltung der Ausnahmebedingungen usw.). Es gibt auch eine Reihe von Informations-, Transparenz- und anderen Anforderungen, die der Betreiber der DLT-Marktinfrastruktur während dieses Zeitraums erfüllen muss.

Fazit

In den letzten Jahren gab es viel Interesse an der Erforschung, wie die DLT zur Förderung der Effizienz auf den Finanzmärkten eingesetzt werden kann. Die DLT-Pilotregime-Verordnung wurde erlassen, um den zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit zu geben, Betreibern von DLT-Marktinfrastrukturen bestimmte Ausnahmen von EU-Vorschriften zu gewähren, die andernfalls die Entwicklung der Nutzung von DLT im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten behindern oder verbieten könnten. Ziel ist es, den Betreibern von DLT-Marktinfrastrukturen mehr Rechtssicherheit bei der Entwicklung und Umsetzung neuer DLT-Geschäftsmodelle zu geben. Es bleibt abzuwarten, wie viele Betreiber von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, sobald die Verordnung im März 2023 in Kraft tritt.