COVID-19 und virtuelle Gesellschafterversammlungen

Die Gesellschafterversammlungen der GmbH und der AG sind grundsätzlich als Präsenzversammlungen ausgestaltet. Da aber aufgrund der derzeitigen Situation eine persönliche Zusammenkunft aller Gesellschafter nur erschwert möglich ist, hat der Gesetzgeber – unter gewissen Voraussetzungen – die Möglichkeit einer „virtuellen“ Versammlung geschaffen, die ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt werden kann.

I. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen aufgrund von COVID-19

Die aktuelle COVID-19-Krise hat auch im Gesellschaftsrecht zu einigen Änderungen geführt. Neben der Verlängerung bzw der Unterbrechung von im gesellschaftsrechtlichen Bereich relevanten Fristen wurde im sogenannten Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetz (COVID-19-GesG) auch die Möglichkeit von Gesellschafterversammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer geschaffen. Zweck der Bestimmung ist, möglichst Menschenansammlungen und das damit zusammenhängende Infektionsrisiko zu vermeiden und damit die weitere Verbreitung von COVID-19 einzudämmen.

Derzeit können gemäß § 1 Abs 1 COVID-19-GesG Versammlungen von Gesellschaftern und Organmitgliedern von

  • Kapitalgesellschaften (insb Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung),
  • Personengesellschaften (insb offene Gesellschaft und Kommanditgesellschaft),
  • Genossenschaften,
  • Privatstiftungen,
  • Vereinen,
  • Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit,
  • kleinen Versicherungsvereinen sowie
  • Sparkassen

auch ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt und Beschlüsse auch auf andere Weise gefasst werden.

Dies betrifft nicht nur Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen, sondern auch Versammlungen von Leitungs- und Aufsichtsorganen, wie beispielsweise Geschäftsführerversammlungen oder Aufsichtsratssitzungen. Auch Versammlungen, die nicht gesetzlich, sondern vertraglich geregelt sind, beispielsweise durch Gesellschaftsvertrag oder Geschäftsordnungen, sind davon umfasst und können virtuell abgehalten werden.

II. Regelungen zur Durchführung von Versammlungen

Detaillierte Regelungen zur Zulässigkeit solcher Versammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer (auch „virtuelle Versammlungen“ genannt) der oben bezeichneten Rechtsformen finden sich in der sogenannten Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Verordnung (COVID-19-GesV) der Justizministerin vom 8. April 2020. Diese Verordnung trat rückwirkend mit 22. März 2020 in Kraft und gilt bis einschließlich 31. Dezember 2020.

Bereits bestehende gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen zur Durchführung von virtuellen Versammlungen werden durch die COVID-19-GesV nicht berührt. Dabei muss es sich aber nicht um vollständig virtuelle Versammlungen handeln, auch „hybride“ Versammlungen mit sowohl physisch anwesenden Teilnehmern als auch virtuell Teilnehmenden sind möglich.

Neben den Spezialbestimmungen für virtuelle Versammlungen nach dem COVID-19-GesG und der COVID-19-GesV gelten dieselben gesetzlichen und vertraglichen Regelungen wie für gewöhnliche Versammlungen bei physischer Anwesenheit der Teilnehmer.

  • 2 der COVID-19-GesV regelt allgemein die Zulässigkeit virtueller Versammlungen:
  • Dafür muss gewährleistet sein, dass eine Teilnahmemöglichkeit von jedem Ort aus besteht und sowohl Ton als auch Bild in Echtzeit in beide Richtungen übertragen werden, also vom Teilnehmer zur Versammlung und umgekehrt (akustische und optische Zweiweg-Echtzeit-Verbindung). Mögliche technische Kommunikationsmittel dafür wären zB Online-Videokonferenzsysteme, die eine Echtzeitübertragung von Ton und Bild über das Internet ermöglichen. Den Teilnehmern an der Versammlung muss es dabei möglich sein, sich zu Wort zu melden und an Abstimmungen teilzunehmen.
  • Es ist auch möglich eine virtuelle Versammlung abzuhalten, bei der zu einigen Teilnehmern lediglich eine akustische Verbindung besteht, also nur der Ton übertragen wird. Dies ist dann zulässig, wenn es sich (i) um höchstens die Hälfte der Teilnehmer handelt, die lediglich über eine akustische Verbindung verfügen, und (ii) diese Teilnehmer entweder nicht über die technischen Mittel für eine Bild-Ton-Verbindung verfügen oder diese nicht verwenden können oder wollen.

Treten während einer Versammlung Zweifel an der Identität eines Teilnehmers auf, ist dessen Identität auf geeignete Weise (beispielsweise, indem ein Lichtbildausweis in eine Bildschirmkamera gehalten wird) zu überprüfen.

  • 2 Abs 6 COVID-19-GesV sieht vor, dass die die virtuelle Versammlung durchführende Gesellschaft für den Einsatz von technischen Kommunikationsmitteln nur insoweit verantwortlich ist, als diese ihrer Sphäre zuzurechnen sind. Das betrifft sowohl etwaige Schadenersatzansprüche von Teilnehmern als auch das gültige Zustandekommen von Beschlüssen. Um etwaige Beschlussanfechtungen zu vermeiden, sollte seitens der Gesellschaft jedenfalls geprüft werden, ob die technischen Voraussetzungen für die virtuelle Versammlung gegeben sind.[1]

Bestimmte Beschlüsse, beispielsweise die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH, bedürfen einer notariellen Beurkundung. Auch dies ist nun ohne persönliche Anwesenheit eines Notars möglich, denn der Notar kann gemäß § 90a Notariatsordnung die Beurkundung unter Nutzung einer elektronischen Kommunikationsmöglichkeit vornehmen.

III. Die virtuelle Generalversammlung der GmbH

A. Beschlussfassung nach bisherigem Recht

Schon vor der COVID-19 Gesetzgebung war es aufgrund der Regelungen zum „Umlaufbeschluss“ möglich, die Generalversammlung ohne Anwesenheit (auch virtuell[2]) durchzuführen. Dabei ist es jedoch notwendig, dass entweder alle Gesellschafter mit der Beschlussfassung „im schriftlichen Wege“ einverstanden sind oder der Beschluss einstimmig gefasst wird (§ 34 Abs 1 GmbHG). Das Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter kann im Gesellschaftsvertrag nicht abbedungen werden.[3]

Nach § 1 Abs 4 COVID-19-GesV können nach wie vor auch Umlaufbeschlüsse iSd § 34 Abs 1 GmbHG gefasst werden.

B. Einberufung der virtuellen Generalversammlung

Die Entscheidung, ob eine virtuelle Versammlung durchgeführt werden soll und welche Verbindungstechnologie dabei zum Einsatz kommt, ist von jenem Organ oder Organmitglied zu treffen, das die betreffende Versammlung einberuft. Dabei sind sowohl die Interessen der Gesellschaft als auch die Interessen der Teilnehmer angemessen zu berücksichtigen (§ 2 Abs 3 COVID-19-GesV). Die technischen Anforderungen an die Teilnehmer dürfen dementsprechend nicht zu hoch angesetzt werden.[4] Bei der GmbH wird die Generalversammlung grds von den Geschäftsführern einberufen (§ 36 Abs 1 GmbHG).

In der Einberufung der virtuellen Versammlung ist anzugeben, welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der virtuellen Versammlung bestehen (§ 2 Abs 4 COVID-19-GesV).

C. Die virtuelle Generalversammlung

Die Versammlung selbst ist unter den in II. genannten Voraussetzungen zulässig. Ausreichend sind demnach Online-Videokonferenzsysteme, weil es dem Teilnehmer ermöglicht wird, sich zu Wort zu melden und an Abstimmungen teilzunehmen.

Kommt es zu einer technischen Störung der virtuellen Versammlung, die der Gesellschaft zuzurechnen ist, ist ein dennoch gefasster Beschluss anfechtbar. Die Anfechtbarkeit des Beschlusses kann sich auch daraus ergeben, dass die technischen Anforderungen an die Teilnehmer zu hoch sind bzw vorab keine ausreichenden Informationen über den Ablauf (technisch, organisatorisch) gegeben wurden.[5]

D. Beschlussfassung der Leitungs- und Aufsichtsorgane

Die Beschlussfassung der Geschäftsführung und des Aufsichtsrats war auch schon vor Inkrafttreten des COVID-19-GesG in jeder Form möglich. Eine gesellschaftsvertragliche Regelung bzw eine Regelung in der Geschäftsordnung ist dazu nicht erforderlich. Im Falle einer Videokonferenz kam dem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrats kein Widerspruchsrecht zu.[6]

Das COVID-19-GesG sowie die COVID-19-GesV sind wohl auch auf Syndikatsversammlungen anzuwenden, weil das Syndikat idR eine GesbR (Personengesellschaft) darstellt.[7]

IV. Die virtuelle Hauptversammlung der Aktiengesellschaft

A. Beschlussfassung nach bisherigem Recht

Schon vor der COVID-19 Gesetzgebung war es nach § 102 Abs 3 AktG möglich, dass Aktionäre im Weg elektronischer Kommunikation teilnehmen und auf diese Weise Rechte ausüben können, wenn die Satzung dies vorsieht oder Vorstand dazu ermächtigt wurde. Das Gesetz nennt die Satellitenversammlung (§ 102 Abs 3 Z 1 AktG), die Fernteilnahme (§ 102 Abs 3 Z 2 AktG) und die Fernabstimmung (§ 102 Abs 3 Z 3 iVm § 126 AktG).

B. Einberufung der virtuellen Hauptversammlung

Zur Einberufung kann auf III.B. verwiesen werden, mit dem Unterschied, dass grds der Vorstand die Hauptversammlung einberuft (§ 104 Abs 1 AktG) und dieser damit darüber entscheidet, ob eine virtuelle Hauptversammlung durchgeführt werden soll und welche Technologie dabei zum Einsatz kommt.

Die Einberufung der virtuellen Versammlung hat Informationen über die organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der virtuellen Versammlung zu enthalten (§ 2 Abs 4 COVID-19-GesV).

Wenn im Fall von Aktiengesellschaften diese Informationen in der Einberufung zur Hauptversammlung noch nicht enthalten sind, können diese bis spätestens 21 Tage vor der Hauptversammlung gemäß § 108 Abs 3 bis 5 AktG bereitgestellt werden (also Auflage zur Einsicht oder auf der Internetseite bzw unter bestimmten Voraussetzungen auch per eingeschriebenen Brief oder Email an die Aktionäre). Auf diese Bereitstellung muss aber bereits in der Einberufung hingewiesen worden sein (§ 3 Abs 3 COVID-19-GesV).

Hat aber eine Aktiengesellschaft die Einberufung bereits vor dem 8. April 2020 veröffentlicht, reicht es aus, wenn die Informationen über die organisatorischen und technischen Voraussetzungen spätestens ab dem 14. Tag vor der Hauptversammlung gemäß § 108 Abs 3 bis 5 AktG bereitgestellt werden. Wenn diese Informationen nicht auf der Internetseite der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden, sind sie auch ohne Verlangen der Aktionäre unverzüglich an diese zu übermitteln (§ 5 Abs 2 COVID-19-GesV).

C. Die virtuelle Hauptversammlung

Da die Hauptversammlung einer AG typischerweise einen großen Teilnehmerkreis hat, ist eine „normale“ Videokonferenz dafür idR ungeeignet.

Abweichend von der allgemeinen Regelung verlangt § 3 Abs 1 COVID-19-GesV daher nicht, dass alle Teilnehmer mit einer akustischen und optischen Zweiwegverbindung zugeschalten sind. Vielmehr ist es ausreichend, dass der einzelne Aktionär dem Verlauf der Versammlung nur folgen kann, aber auf andere Weise in die Lage versetzt wird, während der Versammlung Wortmeldungen abzugeben und an Abstimmungen teilzunehmen. So könnten etwa eine Chatfunktion sowie eine Abstimmungssoftware zum Einsatz kommen. Auch ausreichend wäre es, dass ein Aktionär mittels Telefonanrufs Fragen stellen oder eine Stellungnahme per E-Mail senden kann.[8]

Nach § 3 Abs 2 COVID-19-GesV können für die Abgabe dieser Wortmeldungen (Fragen und Beschlussanträge) während der Versammlung angemessene zeitliche Beschränkungen festgelegt werden.

Zusätzlich zur virtuellen Durchführung der Hauptversammlung – also in Ergänzung der oben genannten Erfordernisse – kann auch eine Übertragung der Versammlung sowie die Abstimmung per Brief gem § 127 AktG erfolgen, auch wenn dies nicht in der Satzung vorgesehen ist (§ 3 Abs 2 COVID-19-GesV).

D. Börsennotierte Gesellschaften sowie Gesellschaften mit mehr als 50 Aktionären

  • 3 Abs 4 COVID-19-GesV sieht Erleichterungen für börsennotierte Gesellschaften, Gesellschaften, deren Aktien über ein multilaterales Handelssystem gehandelt werden und Gesellschaften mit mehr als 50 Aktionären vor, weil eine größere Zahl von Gesellschaftern schwierig zu handhaben ist.[9]

Für Hauptversammlungen dieser Gesellschaften, die gem § 102 Abs 4 AktG übertragen werden, kann vorgesehen werden, dass die Stellung eines Beschlussantrags, die Stimmabgabe und die Erhebung eines Widerspruchs in der virtuellen Hauptversammlung nur durch einen besonderen Stimmrechtsvertreter erfolgen kann. Die eigenständige Ausübung des Frage- und Rederechts kann den Aktionären jedoch nicht entzogen werden.[10] Dafür sind von der Gesellschaft zumindest vier geeignete und unabhängige Personen vorzuschlagen, von denen zwei entweder Rechtsanwälte oder Notare sein müssen.

E. Beschlussfassungen der Leitungs- und Aufsichtsorgane

Zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats und des Vorstands kann auf III.D. verwiesen werden.

 

[1] Zollner/Simonishvili, Gesellschaftsrecht in Zeiten von COVID-19, GES 2020, 175.

[2] Harrer in Gruber/Harrer, GmbHG² § 34 Rz 75.

[3] R. Winkler in Folgar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG § 34 Rz 55.

[4] Deutsch, Virtuelle Beschlussfassung in der GmbH nach dem COVID-19-GesG, Aufsichtsrataktuell 2020 H 3, 7.

[5] Deutsch, Aufsichtsrataktuell 2020 H 3, 7.

[6] Kalss/Hollaus, Felixibilisierung des Gesellschaftsrechts – ein weitreichender Schritt durch das Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz, GES 2020, 84 (85).

[7] Zollner/Simonishvili, GES 2020, 175 (177).

[8] Kalss/Hollaus, GesRZ 2020, 84 (91).

[9] Kalss/Hollaus, GesRZ 2020, 84 (92).

[10] Kalss/Hollaus, GesRZ 2020, 84 (92).